Heute sind etwa die Hälfte der Einwohner von Madagaskar Christen, das heißt entweder katholisch oder protestantisch. Die Madagassen sind im Allgemeinen sehr gläubig und insbesondere die Sonntagsmessen sind gut besucht. Diese sind dann der Anlass für die Familien, ihre beste Kleidung anzuziehen und in ihre Kirche zu gehen, die Männer in schönen Anzügen und die Frauen in eleganten Kleidern.
Das Leben scheint dann stillzustehen. An meinem ersten Sonntag auf Madagaskar war ich sehr überrascht, die Hauptstadt völlig menschenleer vorzufinden! Einen Moment lang fragte ich mich, was los war und warum die normalerweise so belebten Straßen plötzlich völlig leer waren, doch dann läuteten die Glocken, wie aus dem Nichts erschien eine riesige Menschenmenge um mich herum und alles war wieder wie an den anderen Tagen!
Die Madagassen haben jedoch nicht vollständig ihren alten Überzeugungen vergessen und obwohl das Christentum die dominierende Religion ist, vermischt es sich dennoch mit den traditionellenNaturreligionen. Die Madagassen beziehen sich z. B. immer auf einen einzigen Gott, den Schöpfer der Welt, den sie Zanahary nennen.
Im Alltagsleben beziehen sich die Madagassen hingegen eher auf ihre Vorfahren, die eine Art Vermittlerrolle zwischen den Lebenden und dem Gott Zanahary einnehmen. So werden die Vorfahren auf besondere Weise verehrt und ihre Anbetung nimmt manchmal überraschende Formen an. So zum Beispiel bei einem Fest, das einzigartig auf der Welt ist: die Famadihana oder auch die Umwendung der Toten. Es handelt sich um eine ganz besondere Zeremonie, an der ich das Glück hatte, teilnehmen zu können.
Bei einem riesigen Fest, bei dem die ganze Familie, die Freunde und sogar das ganze Dorf anwesend sind, wird das Grab eines Verstorbenen geöffnet und der Körper exhumiert. Der Grund dieser Exhumierung ist, dass man das Leichentuch austauschen möchte, in dem der Tote ruht, damit dieser sich nicht von seinen Hinterbliebenen vergessen fühlt. Man fragt ihn auch um Rat und bittet ihn um Segen, bevor man ihn in ein neues Leichentuch gehüllt wieder in sein Grab zurücklegt.
Dieses Fest, das ungefähr alle fünf Jahre stattfindet, ist besonders kostspielig für die Familie, die es organisiert und die oftmals gezwungen ist, Geld zu leihen, um die dadurch entstehenden Kosten bezahlen zu können. Tatsächlich ist es so: Je mehr Personen bei der Zeremonie anwesend sind, desto größer ist der Respekt, der den Vorfahren erwiesen wird. Die Feierlichkeiten dauern in der Regel drei Tage, während denen Essen und Trinken für die Gäste bereitgestellt werden. Wenn die Zeremonie selbst beendet ist, werden große Feste organisiert und der Toka Gasy, der regionaltypische Alkohol, fließt in Strömen! Man isst und trinkt zu der Begleitung von Musik und man sieht sich Vorführungen des Hira Gasy, einer Mischung traditioneller Tänze und Gesänge, an.
Wenn Sie die Möglichkeit haben, während Ihres Aufenthaltes auf Madagaskar an einer Famadihana teilzunehmen, dann zögern Sie nicht. Die Menschen, die Sie eingeladen haben, werden sich über Ihre Anwesenheit sehr freuen, Sie werden der madagassischen Kultur sehr viel näher kommen und einer der unglaublichsten Zeremonien der Welt beiwohnen!